Über Jürgen Walter, ein Feuilleton

Ein Feuilleton

von Alexander L. Heil

Persönliches, privates aus freundschaftlicher Distanz, in sachlicher Nähe und mit inhaltlichem Verständnis über Jürgen Walter und seine Arbei-ten zusammenzutragen heißt, auch Mensch und Gesellschaft im Rahmen von Kultur- und Umweltentwicklung der letzten Jahre zu betrachten, die Auswirkungen dessen, was man Fortschritt nennt, auf den Punkt zu bringen – ein schwieriges Kulturbildwerk.

Mit stets präziser, oft lauter Gestik, gelegentlich aber auch in leise Anklage, definiert und deklariert Jürgen Walter wesentliches unserer Existenz in seinen Werkzyklen. Vom Weltbohrer bis zum Sturzflieger, vom Spiegelbild hin zur Kriegsperfor-mance reicht die Sicht seiner Realität Kunst. Sein Kunstverständnis ist politisch und sozial, hinter messerscharf bis ins Zynische zuendegedachten Analysen steht ein verzweifelter Humanismus, der sich verantwortlich fühlt für Mensch und Umwelt. Als Ausdruck sehnsüchtigen Strebens nach Har-monie, Glück und Ausgleich sind die Plastiken Walters zu verstehen, doch schließen sie gleich-zeitig die unmißverständliche Antwort ein: „…doch die Verhältnisse sind nicht so!“ Ein Klage-ruf, überdeutliche Appelle an „die Verantwortli-chen“ (wer das ist, wird in einer 1980 entstande-nen Fotoskulptur gleichen Titels klar, die mit ausgestrecktem Finger auf die Betrachter zeigt) – Jürgen Walter sitzt mitten in Berlin im Riesenarsenal seines Werkes und lädt ein: so ist die Welt; ich habe sie abgebildet, die Menschen, die körperlich, seelisch, sozial deformiert sind, und die durch die Menschen veränderte Natur.

Es liegt fast 20 Jahre zurück, mein erstes Ge-spräch mit dem Künstler und Performance-Mann und fand statt beim Karlsruher Galeristen Klaus Beutemüller, der sich vor einigen Jahren das Leben nahm. Dieser zeigte damals zum ersten Mal Bilder in einer ausgeräumten Vierzimmerwohnung, seiner Süd-West-Galerie. Nach der Auststellungseröff-nung: Trinken und Essen in einem Lokal. Jürgen Walter redete unablässig, ebenso trank er. Je mehr seine formale Höflichkeit abnahm und die sonst zurückhaltende Stimme anschwoll, umso mißverständlicher und radikaler formulierte er seine Thesen über die Aufgaben der Kunst in un-serer Zeit und die Pflicht des Künstlers in der Ge-sellschaft als Mahner zu verantwortungsvollem Handeln.
Kunst ist Politik mit eigenständigen Äußerungsformen, daher forderte Walter damals weitestgehende Eigenständigkeit der Künstlers als Garantie für authentische, unverfälschte Aussagen in der Kunst.
Unterstellt, die Walterschen ´Mahn-male´, ´Denk-male´ sind zuverlässige Zeugnisse ihrer jeweiligen Zeitspanne, so haben wir es mit einem pointiert arbeitenden politischen Gesellschaftschronisten zu tun, der in seiner Bildsprache der Zeit seine Prädikate oktroyiert. Verwandte Zeitgenossen und Mitgestalter der Politkunstszene waren unter anderen die Fluxusbewegung, oder auch richtungswei-sende Außenseiter wie Ben Wargin – der Begrüner, Will Cassel – der Gardendwarfperformer, Otto Dressler – der Kunstbesetzer oder Leo Hüskes – der Installationszimmermann, um nur einige stellvertretend zu nennen, ohne daß sich ihre Wege jemals für längere Zeit mit dem Jürgen Walters gemein-same Gleise gesucht hätten. Denn Walter stellt den konsequenten Einzelkämpfer in persona dar, der aus der selbstverwirklichten materiellen Unab-hängigkeit das Recht ableitet, frei und unge-schminkt wie technisch perfekt Kunst als Spiegel unserer Lebenswirklichkeit zu produzieren. Eine präzise Kunst also, die aneckt, um zu provozieren, die überzeichnet, um zu verdeutlichen, die ver-letzt, um spürbar zu werden.

Walters Hypersensibilität ist entnervend und gleichzeitig ist sie feinsinnige Antenne für Wahrheiten, ein Kollektor, der auffängt und aufzeigt, was uns Menschen bedroht. Den Mondfühligen bewegen mitunter unbedeutend erscheinende Tagesereignisse und treiben ihn in stundenlange nächtliche Telefonate, Streitgespräche oder Grübeleien. Er bewahrt sich in der liebevoll erkämpften Zweierbeziehung mit der Schriftstellerin Zehra Ci-rak bindungsstark, kooperativ und voller Führsorglichkeit einen beständigen Anreiz zum Leben und Überleben.

Jürgen Walter verreist nicht gern. Im realen Mikrokosmos seiner konkreten Lebenssituation findet er mehr als genug Anregung und Aufregung für seine in Serien entstehenden Arbeiten. Er transportiert seine Botschaften in Gestalt von allgemein als wertvoll angesehenen Kultursymbolen: hochglanz-lackierten Pianos, kostbaren Fotoapparaten, High-Tech Flugkörpern… Hinter der prächtigen Fassade aber brechen Ängste auf, erscheinen stigmatisierte Figuren oder Naturfragmente, offenbart sich der Mensch als homini lupus in banaler Normalität oder als erbärmlich. Formal und/oder konkret verschlossen, mitunter bis ins Barocke gleitend, entziehen sich Jürgen Walters Skulpturen dem direkten, schnellen Blick in die Objektinhalte. Wer sich ihnen aussetzt, erfährt ihre aggressive Schönheit als ständige Beunruhigung, als Störfaktor in der nur oberflächlich sicheren eigenen Existenz. So, als wäre der beharrliche Mahner Jürgen Walter leibhaftig anwesend und forderte die persönliche Mitverantwortung des Betrachters ein für die Entwicklung von Über-Lebens-Strategien in unse-rer Welt: „Ihr müßt halt den Arsch heben!“